Scharfe Sachen, die Freude machen...

Scharfe Sachen, die Freude machen...

Ja, ich weiß. Mit diesem Thema macht man gewöhnlich ein Faß auf, welches man nicht mehr zu bekommt. Üblicherweise folgen an dieser Stelle - also bereits bevor auch nur ein Wort zum eigentlichen Thema geschrieben wurde - alle möglichen Arten von Disclaimern der Prägung: alles nur meine Meinung. Echt jetzt? Wer nicht von selbst darauf kommt, dass ich hier natürlicherweise nur meine eigenen Erfahrungen wiedergeben kann, der muss zurückgelassen werden. Sorry.

Bevor wir zur Vorstellung meiner favorisierten Messer kommen, möchte ich dennoch ein paar Bemerkungen fallen lassen. Falls Sie darauf keine Lust haben, warten Sie auf Teil zwei dieser Serie und überspringen Sie die folgenden Ausführungen.

Ich bin jetzt seit über 30 Jahren draussen unterwegs (ja, ich bin so alt) und wir verwenden hier täglich Messer sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. Ein wenig Erfahrung kann ich also mitbringen. Dabei möchte ich anmerken, dass ich kein einziges „Vitrinenmesser“ besitze. Bei uns werden alle Messer verwendet (meist sogar bestimmungsgemäß). Just do it!
Dabei haben sich einige Erkenntnisse herausgebildet, die vielleicht gängigen Meinungen etwas konträr gegenüberstehen. Das möchte ich hier in Teil 1 dieser dreiteiligen Reihe kurz ansprechen, bevor es weitergeht.

Das Wichtigste zuerst. Mit der Zeit hat sich ein Thema immer mehr relativiert, nämlich der verwendete Stahl. Ein beinahe religiös aufgeladenes Thema mit Gläubigen, einer fast orthodox zu nennenden Lehre und den dazugehörigen Ketzern (falls Sie zur Gruppe der Stahlfetischisten gehören, jetzt tief durchatmen).
Nicht, dass der bei einem Messer verwendete Werkstoff völlig nebensächlich wäre. Unterschiedliche Stähle bringen natürlich unterschiedliche Eigenschaften mit und einige eignen sich besser für Klingen als andere, aber in der Praxis bemerkt man sehr schnell, dass man auch mit dem aktuell gehypten Superdupermegaüberhyperstahl ziemlich besch…eidene Werkzeuge fertigen kann. Fallen Sie nicht auf Marketingtricks herein (das ist oft schwerer, als man denkt).
Sollte Ihnen also der jeweilige Diskussionspartner (im Forum oder in realiter) mit einer Aussage vom Typ: „Mein Messer ist aus (hier den aktuellen Trendstahl einsetzen) und deshalb viel besser als dein Messer aus (hier den jeweiligen Stahl ihres Messers einsetzen)“, dann rollen Sie bitte mit den Augen, werfen Sie in dramatischer Geste den Kopf nach hinten und lassen Sie die Diskussion einfach sein. Bringt nix.
Neben dem verwendeten Stahl sind insbesondere dessen (korrekte) Wärmebahandlung, die Geometrie der Klinge, die Balance oder ein Griff, der gut in die jeweiligen Hände des Nutzers passt, wichtige Kriterien. Ausserdem kommt es ein wenig auf die Arbeitsweise, den Einsatzzweck und natürlich den individuellen Geschmack an. Ihr Messer muss Ihnen schließlich auch gefallen, sonst liegt es im Endeffekt nur zuhause rum und niemand nimmt es mit auf Tour.

Machen wir in diesem Zusammenhang einen kleinen Ausflug in die Welt der Messertests. Folgen Sie mir in den Kaninchenbau.
Ich habe mit vielen Messerreviews, die man so im Internet findet, das ein oder andere Problem. Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt etliche sachkundige Beiträge, denen ich durchaus vertraue. Dennoch existiert nun mal zum einen das oben bereits erwähnte subjektive Element und zum anderen sind auch viele unsinnige Darbietungen zu bewundern. Die Aufmerksamkeitsökonomie ist eben eine - entschuldigung - Bitch. Sex & Sensation verkaufen sich immer.

In vielen Tests scheint das einzige Kriterium zur Bewertung eines Messerstahls dessen Schnitthaltigkeit zu sein. Vielleicht kennen Sie solche Tests, bei denen tapfer ein dickes Tau geschnippelt wird. Aus der Zahl der möglichen Schnitte wird dann auf die Schnitthaltigkeit geschlossen und es werden in der Folge Tabellen und Rankings veröffentlicht, welche klar aufzeigen, dass Stahl A viel besser ist als Stahl B. Ist dem wirklich so? Wie aussagekräftig sind derartige Unternehmungen? Möchten Sie viel Tau oder Seil schneiden - sei es beruflich, oder weil Sie kein anderen Hobby haben - dann ist dieser Test vielleicht wirklich etwas für Sie. Auch wenn hier die Frage offen bleibt, ob Sie in der Lage sein werden das Messer mit wenig Aufwand auch wieder scharf zu bekommen. Was passiert wenn sich der Werkstoff ändert, der bearbeitet werden soll? Was wenn sich der Anpressdruck der Klinge verändert? Was, wenn wir den Schneidenwinkel der Klinge verändern? Was wenn wir mit unserem Messer eher Druck- statt Zugschnitte ausführen wollen? Derartige Tests können Hinweise geben, sagen aber wenig über die Eignung des Messers für die Anwendung in einer Praxis, die eben in den meisten Fällen nicht ausschließlich aus dem Schnippeln von Takelage besteht. Manchmal frage ich mich, ob die Schnitthaltigkeit deshalb in etlichen Tests so in den Fokus rückt, weil viele Anwender nicht in der Lage sind, ihr Messer selbst zu schärfen. Jede Klinge wird irgendwann stumpf. Dann spielt die Schärfbarkeit eine entscheidende Rolle. Vielleicht sogar die Schärfbarkeit mit „Feldmitteln“, etwa wenn man auf einer längeren Tour unterwegs ist. In manchen Situationen kann dieses Kriterium wichtiger sein, als ein besonders schnitthaltiges Messer.

Andere Tests versuchen zu eruieren, wie stabil ein Messer aus Stahl X denn nun ist. Gibt es Ausbrüche, wenn ich das Messer mit einem Stein durch einen Schützenpanzer treibe? Wie groß ist der Schaden, wenn ich mit einem Jagdgewehr auf die Klinge schieße? Ich mag das hier gar nicht weiter kommentieren. Moderne Anglizismen halten hierfür eine passende Bezeichnung parat: Clickbait. Vergleichbar ist das ganze mit schauerlich sensationsheischenden Übungen mancher „TV-Survival-Gurus“, die von erhöhter Position in unbekannte Gewässer hüpfen, Urin trinken oder ähnlich unsinnige Stunts absolvieren. Man könnte bei einigen Darbietungen manchmal direkt von einer Anleitung zum Outdoorsuizid sprechen. Unterhaltsam vielleicht. Sinnvoll aber eher weniger. Zuschauer sind einem sicher, aber der Erkenntnisgewinn bleibt weitgehend aus.

Besser finde ich Reviews, die typische im Outdoorbereich anfallende Arbeiten mit einem Messer erledigen und dann einfach die subjektive Meinung des Testers wiedergeben. Diese Ansichten kann man dann teilen (oder eben auch nicht), aber wir sind hier wesentlich näher an einer gewissen Aussagekraft, welche für die Praxis relevant sein könnte. Wobei man dummerweise die Professionalität der Tester (oder eventuell mehr oder weniger unlautere Intentionen) oft nur schwer auf den ersten Blick abschätzen kann. Beruht ein Verriss vielleicht doch auf einer Abneigung des Testers gegen eine bestimmte Marke? Hat man einen Fanboy vor sich, der einfach alles von Hersteller Y toll findet? Handelt es sich um ein bezahltes Review? Selbst hinter hochwertig produzierten YouTube Videos, die so wirken, als würde man einer Mischung aus Indiana Jones, Rambo und Sacajawea bei der Arbeit zusehen, muss nicht unbedingt viel Gehaltvolles stecken. Auch hier gibt es Kandidaten, deren Ergebnisse man wie folgt zusammenfassen könnte: „Ich habe keine Ahnung wie man ein Messer verwendet. Muss die Schuld des Messers sein.“
Nicht jeder, der (insbesondere im Internet) wie ein Oberguru auftritt, ist auch einer. Es geht bei öffentlichen Auftritten viel zu oft primär um Aufmerksamkeit und Klicks.
Schauen Sie also genau hin und machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken. Hören Sie auf den Rat von Leuten, die selbst schon lange im entsprechenden Anwendungsbereich Messer verwenden. Sie Suchen ein Jagdmesser? Fragen Sie erfahrene Jäger. Sie suchen ein Outdoormesser für lange Treks? Fragen Sie Personen, die Derartiges schon öfter unternommen haben. Sie möchten schöne Messer für die Vitrine? Sie verstehen mich schon…. Grundsätzlich gilt natürlich: gehen Sie raus und benutzen Sie ihre Messer. Mit steigender Erfahrung werden Sie viel besser einschätzen können, was Ihnen da präsentiert wird. Lassen Sie sich nicht verunsichern.

Fassen wir kurz zusammen:
Nein, mein Messer muss keine fünf Schulbusse der Länge nach zerteilen.
Nein, mein Messer muss keinen Granatwerferbeschuss schadlos überstehen.
Nein, ich schlage nicht wie ein Bekloppter mit einem Stein auf mein Messer ein und beschwere mich, wenn Spuren zu sehen sind.
Nein, mein Messer ist kein Brecheisen und wenn ich es als solches missbrauche und die Spitze abnudle ist das allein meine Schuld.
Nein, ich werde ein Messer in einem Review nicht zerreißen, nur weil mir das Herstellerlogo 0,5mm zu groß erscheint.
Nein, ich vergrabe mein Messer nicht in einem Beutel voll Salzwasser im Wald und beschwere mich drei Jahre später, dass die Klinge gerostet ist.
Nein, ich werde meine Messertests nicht im Bikini…
…egal.

Zurück zum ursprünglichen Thema. Was erwarten wir von einem Messerstahl? Eine Klinge soll schnitthaltig sein, aber auch stabil. Die Schneidkante soll nicht ausbrechen und nicht „rollen“ und wir möchten gerne eine gute Nachschärfbarkeit erreichen (daneben gelten für das Messer insgesamt alle oben bereits angesprochenen Kriterien. Sie erinnern sich?).
Messerstähle sind immer ein Kompromiss zwischen bestimmten Eigenschaften des Werkstoffs Stahl, die sich manchmal gegenseitig ausschließen. Man versucht nun teilweise mit großem technischen Aufwand hier das Optimum herauszuholen und je nach Anwendungsbereich die richtige Balance zu finden. Da eine detaillierte Betrachtung hier den Rahmen sprechen würde, verweise ich - wie viele vor mir - auf das Standardwerk von Roman Landes mit dem vielsagenden Titel „Messerklingen und Stahl“. Lesen Sie es. Es räumt mit vielen Mythen und einigem Unsinn auf, der in der Szene kursiert und Sie werden nach der Lektüre ein deutlich besseres Verständnis von - Überraschung - Messerklingen und Stahl haben.

Im Übrigen habe ich mir (auch als Händler) eines abgewöhnt: Jemandem, der sein Messer gefunden hat, das Gerät schlecht- und damit ausreden zu wollen, selbst, wenn ich persönlich nicht viel mit dem entsprechenden Schneidewerkzeug anfangen kann. Sie müssen damit glücklich sein, nicht ich oder der Forenkollege, der ohnehin alles besser weiß. Das mag unterm Strich aus der Perspektive des Verkäufers dämlich sein, aber was ist das Leben ohne ein paar Grundsätze, zu denen man steht? Sie haben Ihr Messer gefunden? Glückwunsch! Haben Sie viel Freude und tolle Abenteuer damit.

Grundsätzlich müssen anständige Outdoormesser nicht teuer sein (auch wenn ich selbst viele eher hochpreisige Messer verwende). Ein Gerber Strongarm aus 420er (alle Stahlfetischisten jetzt bitte die Nase rümpfen) ist ebenso brauchbar wie z.B. ein Mora aus 12C27 (ja, das Leben ist grausam, wenn man nur nach Werkstoffnummern geht) oder ein Böker Plus Outdoorsman.

Damit dürften Sie jetzt eine gute Vorstellung haben, unter welchen Gesichtspunkten und mit welcher - nennen wir es Grundhaltung - ich mir meine Meinung zu einem Messer bilde und wir können in Teil zwei mit der Vorstellung meiner Lieblingsklingen fortfahren. Bleiben Sie dran…

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